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05.06.2023

Gesetzliche Vorschriften und Überlegungen zum Personenstandsgesetz 1875

Das Personenstandsgesetz des Deutschen Reiches von 1875 regelte erstmals die Beurkundung von Personenstandsangelegenheiten durch Standesämter im gesamten Reichsgebiet. Damit löste es die vielen - teils voneinander abweichenden - Regelungen der deutschen Länder ab und trat am 1. Januar 1876 in Kraft.

Die wichtigsten Punkte des Personenstandsgesetzes sollen an dieser Stelle leicht verständlich zusammengefasst werden und sind durch einige Anmerkungen ergänzt, die die praktische Arbeit mit den frühen Standesamtsunterlagen vereinfachen können.


Geburten

  • Beurkundungszeit: Geburten mussten innerhalb einer Woche nach der Geburt des Kindes angezeigt / beurkundet werden.
  • Zur Anzeige fähige Personen: Im Idealfall sollte die Beurkundung durch den leiblichen Vater erfolgen.
  • In vielen Fällen erfolgte die Beurkundung jedoch durch die Hebamme, entweder weil der leibliche Vater verhindert war oder weil das Kind unehelich zur Welt kam (nach Einschätzung von Historikern waren das etwa 6% aller Geburten) und die Mutter ans Wochenbett gebunden war.
  • In einigen Fällen wurden Kinder auch durch die Eltern der Mutter registriert. Dies ist häufig ein Hinweis auf ein uneheliches Kind.

Heiraten

  • Beurkundungszeit: Da die zivile Eheschließung durch den Standesbeamten erfolgte, wurde die Beurkundung am gleichen Tag vorgenommen. 
  • Ehealter: Männer mussten 25 Jahre, Frauen 24 Jahre alt sein, um die Ehe nach eigenem Entschluss eingehen zu können.
  • Heiraten vor diesem Alter waren möglich nach Zustimmung des Vaters, der Mutter (wenn der Vater bereits gestorben war) oder des gesetzlichen Vormunds (wenn beide Elternteile verstorben waren). In einigen Fällen war eine Ausnahmegenehmigung (ein Dispens) durch die Behörden möglich.
  • Das Mindestalter lag dann für Männer bei 20 Jahren, für Frauen bei 16 Jahren.
  • Wiederverheiratung: Frauen durften erst nach einem Ablauf von 10 Monaten (etwa nach dem Tod des Ehemannes) erneut heiraten. Hier war ebenfalls ein Dispens möglich und wurde häufig dann gewährt, wenn die Frau mit vielen Kindern zurückgelassen worden war.
  • Bekanntmachung / Aufgebot: Der Standesbeamte hatte die Pflicht, das Aufgebot für 2 Wochen durch öffentlichen Aushang bekannt zu machen, und zwar (1) In den Gemeinden des ständigen Wohnsitzes der Verlobten, (2) zusätzlich in Fremdgemeinden, in denen sich die Verlobten gewöhnlich / vorübergehend aufhielten, (3) bei Wohnsitzwechsel innerhalb der vergangenen 6 Monate auch am vorherigen Wohnort.
  • Vermeintlich fehlerhafte Angaben zu den Eltern der Brautleute: Wenn hier Unstimmigkeiten auftauchen, weil Namen oder Berufe nicht korrekt zu sein scheinen, kann dies ein Hinweis darauf sein, dass nicht die biologischen Elternteile angegeben wurden, sondern die Personen, bei denen man aufgewachsen ist und die man als "Vater" oder "Mutter" identifizierte, z.B. den Stiefvater / die Stiefmutter, den Großvater / die Großmutter oder Onkel und Tanten. Dieser Fall ist in den Standesamtsunterlagen zwar äußerst selten, aber nicht ausgeschlossen.
  • Trauzeugen: Als Trauzeugen bei der standesamtlichen Trauung durften nur "Großjährige" fungieren, also Personen ab 21 Jahren.
  • Als Trauzeugen traten häufig die Väter der Verlobten auf. Wo diese nicht mehr lebten oder durch Krankheit verhindert waren, übernahmen an nächster Stelle Geschwister der Verlobten diese Aufgabe, gefolgt von weiteren Verwandten (z.B. Tanten und Onkel).
  • Wenn die Verlobten fernab der Heimat heirateten (z.B. weil sie aus beruflichen Gründen die Heimat verlassen mussten), tauchen häufig Arbeitskollegen oder sonstige Ortsansässige als Trauzeugen auf.
  • Randbemerkungen in den Heiratsbüchern: Das Personenstandsgesetz sah vor, dass Scheidungen und Eheannullierungen nachträglich am Rand vermerkt werden mussten.
  • Kirchliche Eheschließungen: Sie durften per Gesetz erst nach der standesamtlichen Trauung stattfinden, sonst drohten Geldstrafen und Gefängnishaft. In den meisten Fällen fand die kirchliche Trauung unmittelbar nach der standesamtlichen Trauung statt.
  • Eheliches Güterrecht: Über die in Fulda bestehenden Regelungen zu Vermögen und Gütergemeinschaft der Eheleute informiert Heinrich Heldmann: Das Fuldische eheliche Güterrecht und das Bürgerliche Gesetzbuch. Fulda, 1900. (Link zum Digitalisat der HLB Fulda). 

Sterbefälle

  • Beurkundungszeit: Todesfälle mussten spätestens am nächsten Wochentag beim Standesamt angezeigt werden.
  • Zeugen: Am häufigsten wurden Todesfälle durch nahe Angehörige angezeigt, die beim Eintritt des Todes anwesend waren oder den Verstorbenen kurz danach gesehen haben.
  • Beurkundungen konnten auch durch Friedhofsaufseher und Totenbeschauer erfolgen. Dies kann (muss aber nicht) ein Hinweis darauf sein, dass der Verstorbene allein lebte.
  • Wenn Sterbefälle nicht gefunden werden können: Dies kann ein Hinweis darauf sein, dass der Verstorbene in einem nahegelegenen Krankenhaus oder Pflegeheim gestorben ist. Die Beurkundung erfolgte dann bei dem Standesamt, zu dem die Einrichtung gehörte. Ein späterer Eintrag im Sterberegister des eigentlichen Wohnortes deutet darauf hin, dass die Information nachträglich an den Heimatort gemeldet wurde.
  • Es lohnt auch der Blick in die Sterbebücher an den Wohnorten naher Angehöriger, v.a. der Kinder und Geschwister des Verstorbenen. Gerade wenn eine Person krank war, nahmen sich die Angehörigen der Pflege und Sterbebegleitung an. In diesen Fällen wurde nicht immer eine Meldung an den Heimatort gemacht.

Konsequenzen bei Nichtbeachtung der Vorschriften des Personenstandsgesetzes

  • Bei Versäumnis der fristgemäßen Anzeige von Geburten und Todesfällen konnten die betroffenen Personen mit Geldstrafen und Gefängnis bestraft werden.
  • Auch wissentliche Falschaussagen und daraus resultierende fehlerhafte Beurkundungen konnten geahndet werden.
  • Trotz aller Gründlichkeit sind aber auch die Standesamtsbeurkundungen nicht immer völlig fehlerfrei. 

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